Mittwoch, 31. Dezember 2014

Nicht mehr zu unterscheiden

Eigentlich sollte Israel etwas ganz besonders sein. Es sollte das freieste Land auf der Welt sein, und das reichste und glücklichsten und sicherste noch dazu. Dazu hatte es einen besonderen Gott, der unsichtbar war, vor dem man nicht niederknien konnte und der ganz außergewöhnliche Ideen hatte, die Israel ebenfalls zu einem ganz besonderen Land machten.
In diesem Land war an jedem 7. Tag Arbeitsverbot, und die Einwohner des Landes durften für höchstens 6 Jahre versklavt werden. Der Schutz der Schutzlosen war Gesetz, Großkapitalismus wurde automatisch nach 50 Jahren wieder auf 0 gestellt, und Armut war nicht erblich. Gewisse Feste waren vorgeschrieben – damit niemand das Feiern vergaß. Den Einwohnern wurde Sicherheit vor Feinden garantiert und Wohlstand versprochen.
Klingt schön. Versperrte aber der egoistischen Mehrheit der Bevölkerung den Weg zur Selbstverwirklichung. Sie wollten den Schutzlosen nicht schützen und den Sklaven nicht nach 6 Jahren freilassen. Recht, das nicht ihren eigenen Interessen diente, erachteten sie als überflüssig. Und so machten sie nach und nach aus Israel ein Land wie alle anderen: Mit Willkürherrschaft, Korruption, Rechtsbeugung, Ausbeutung und Machtmissbrauch. Auf allen Ebenen.
Und eigentlich hatten sie so etwas ja schonmal gehabt. Nämlich in Ägypten. Damals hatte Gott sie ja extra befreit. Und nun stellten sie selber wieder ägyptische Verhältnisse her. „Nun“, sagte daraufhin Gott, „das könnt Ihr haben.“ Und er verschaffte seinen Leuten Verhältnisse, die noch viel ägyptischer waren als vor 1000 Jahren.
Wenn eine Gemeinde sich vom Rest der Welt nur noch durch den Kultus und das Schild an der Tür unterscheidet, braucht sie sich nicht zu wundern, wenn Gott sie dem Rest der Welt gleich macht. Schließlich hat sie es so gewollt. 
(Dieser Artikel ist eine Zusammenfassung von Klagelieder, Kapitel 5.)

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